Unserm Gast bei der Reformationsfeier 2005, Othmar Keel aus Freiburg, kommt das Verdienst zu, in die Ökumene und in den interreligiösen Dialog eine neue Tiefendimension eingebracht zu haben. Zusätzlich zum Dialog der heute nebeneinander lebenden Religionen, der «horizontalen Ökumene», tritt er für eine «vertikale Ökumene» ein: für die Bemühung, sich den Brüchen und Absetzungen in der Religionsgeschichte zu stellen und dadurch die eigene religiöse Familiengeschichte heilend aufzuarbeiten. In diesen «Generationsstreitigkeiten» geht es auch um das Gottesbild. Neue Gotteserfahrungen führen zum Bruch und zur Verdrängung früherer Gottesbilder. Die verdrängten Anteile der Gotteserfahrung aus ihrer Verzeichnung zu befreien ist eine Aufgabe der «vertikalen Ökumene». So hat der Alttestamentler Othmar Keel verschiedentlich aufgezeigt, wie die alttestamentlichen Schriften die kanaanäische Vorgängerreligion verzerrt darstellen – im Bemühen, die Jahwereligion als überlegen auszuzeichnen. Analog wird das Judentum im Neuen Testament zum negativen Schattenbild, von dem sich das junge Christentum emanzipiert. Auch der Koran prägt für den Islam ein einseitiges Bild vom Judentum und Christentum, das im Hinblick auf die damaligen Umstände relativiert werden muss. Und nicht zuletzt kann auch die Sicht auf die Katholische Kirche durch die Reformation oder die Abwertung der Volkskirchen durch neureligiöse Strömungen als Generationenkonflikt verstanden werden. Die Therapie dieser Brüche trägt dazu bei, einander ganzheitlicher zu verstehen und verdrängte Aspekte des Gottesbildes wieder zu integrieren.