Zum Schweizer Reformationssonntag am 1. Sonntag im November
An sich haben die Schweizer Protestanten ihre Reformation nie so stolz gefeiert wie die Lutheraner ihrem Reformationstag am 31. Oktober, mit dem sie an den Thesenanschlag Luthers in Wittenberg erinnern. In der alten Eidgenossenschaft begann die Zürcher Kirche vorerst alle 100 Jahre am Neujahrestag an Zwinglis Geburtstag zu erinnern. Lange kannten die reformierten Stände in der Schweiz kein gemeinsames Gedenken der Reformation. Wichtiger war für das Zusammenleben in der konfessionell gespannten Situation die Suche nach einem Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag.
Der Schweizer Reformationssonntag geht auf Initiative der Protestantisch-kirchlichen Hilfsvereine zurück, jeweils am 1. Sonntag im November gesamtschweizerisch für eine Diasporagemeinde zu sammeln. Seit 1897 wurde die Kollekte in allen reformierten Schweizerkirchen erhoben. So erhielt dieser Sonntag den Namen Reformationssonntag. Eine karitative Idee, die Solidarität zwischen Glaubensgenossen, ist der Ursprung des Tages und nicht die Verherrlichung der Reformation.
Die Schweizer Kirchen gedenken somit nicht an einem fixen Datum ihrer Reformation wie die Lutheraner, sondern am ersten Sonntag im November. So bleibt der Gedenktag auch in traditionell katholischen Kantonen ein gesicherter Feiertag. Als Sonntag ist der Gedenktag bereits ein staatlicher Feiertag und kann nicht, wie in vielen Bundesländern Deutschlands, als staatlicher Feiertag gestrichen und zum Arbeitstag werden. Zudem hat das Gedenken der Reformation am Sonntag, am Tag des Herrn, einen dem Tag entsprechenden Bezugspunkt
Was will die Reformationsfeier der Evang.-ref. Forums St.Gallen?
Im Jahre 1924 hat das Evangelisch-reformierte Forum St.Gallen (ehemals «Freie protestantische Vereinigung», gegründet 1919) die Tradition der gesamtstädtischen Reformationsfeier eingeführt, die lange vor allem der Würdigung und der Aktualität des reformatorischen Erbes galt.
In der 1969 von Hans Martin Stückelberger verfassten Jubiläumsschrift findet sich die Bemerkung, dass mit der ersten Reformationsfeier am 3. November 1924 «die wertvollste Tradition in der Geschichte der Vereinigung geschaffen wurde.» An der zweiten Reformationsfeier 1925 habe Prof. Dr. Emil Brunner aus Zürich über die «Kerngedanken der Reformation» gesprochen und damit war, so schreibt Stückelberger: «das Bett gegraben, in das sich der Strom der künftigen Reformationsfeiern ergiessen konnte».
Die Titel der Vorträge geben auch ein Stimmungsbild über den Protestantismus der Stadt, so etwa in den 30er Jahren: «Protestantisches Erbgut», «Der Gegenwartswert der Reformation», «Von der Messe zur evangelischen Predigt», «Zwingli-Kirche erwache!»
Oder in den 40er Jahren: «Die Gabe und Aufgabe des reformierten Glaubens», «Evangelische Waffenrüstung».
In den 50er und 60er Jahren trat das konfessionelle Element da und dort zurück. Biblische Begriffe kamen ins Zentrum:
Da wurde gesprochen zum Thema: «Klein und gross im Reich Gottes», «Christliche Politik oder Politik als Christ», «Protestantisch sein und bleiben»
Seit den 80er Jahren findet die Feier nicht mehr in der Tonhalle, sondern in der Laurenzenkirche statt.
1991 sprach zum erstem mal ein Katholik: Kurt Koch, noch bevor er Bischof der Diözese Basel wurde. 1996 folgt Bischof Ivo Fürer.
Und erst 1994 stand mit Pfarrerin Sabina Hösli erstmals eine Frau auf der Kanzel. (zum Überblick über alle Veranstaltungen)
Bis 1978 wurde diese Feier - analog der Gallusfeier am 16. Oktober - in der Tonhalle abgehalten, jeweils am Montag nach dem Reformationssonntag. Die vereinigten Kirchenchöre der drei städtischen Kirchgemeinden traten auf und im Mittelpunkt stand ein gelehrter Vortrag, der die Vorzüge der Reformation hervorhob. Ein Stück weit sollte die Feier die Einigkeit und Identität der St.Galler Protestanten demonstrieren, aber auch stärken. Es galt, das Neue und Besondere der reformierten Kirche hervorzuheben, oft im Kontrast zur Katholischen Kirche.
Im Zeitalter der Ökumene, ja des interreligiösen Dialogs, ist eine inhaltliche Neubestimmung der Feier angesagt, zumal sich heute viele Fragen für beide Landeskirchen oder für die Zukunft der Religionen überhaupt stellen.
Referenten für die Reformationsfeiern in den letzten Jahren:
1975: Kirchenratspräsident Hans Rutz, St.Gallern: «Unsere St.Galler Kirche: Veraltete Einrichtung – Werkzeug des Heiligen Geistes?»
1976: Pfr. Dr. Peter Vogelsanger, Fraumünster, Zürich: «Steht die Kirche in Gefahr?»
1977: Pfarrer Rinhard Kuster, Basel: «Humor ist auch eine Gnade.»
1978: Pfr. Dr. Walter Sigrist, Präsident des SEK, Bern: «Die gegenwärtige Lage des schweizerischen Protestantismus»
1979: Prof. Dr. Gottfried Locher, Bern: «Zwingli und wir – reformatorisches Zeugnis einst und heute.»
1980: Prof. Dr. Werner Kägi, Zürich: «Die Reformation, die Entstehung der Menschenrechte und ihre heutige Verwirklichung»
1981: Prof. Dr. Ernst Gerhard Rüsch, Abtwil: im Gedenken an Zwinglis Tod am 11. Okt. 1531 «Den Leib können sie töten, aber die Seele nicht»
1982: Pfarrer Hans Rudolf Schibli, Kirchenratspräsident: «Macht die Gemeinde stark!»
1983: Prof. Dr. Gerhard Ebeling, Zürich: «Einfalt des Glaubens und Vielfalt der Liebe – das Herz von Luthers Theologie»
1984: Prof. Dr. Ernst Gerhard Rüsch, Horn: «Vadian – ein Reformator stellt Fragen an uns»
1985: Pfr. Dr. Robert Gagg, Oberrieden: «1685: Sterben und Auferstehen der Hogenottenkirche»
1986: Prof. Dr. Henrik Berkhof, Leiden: «Ist der Bruch mit Rom heilbar? – Was uns eint – Was uns trennt»
1987: Pfr. Luciano Kuster, Kirchenratspräsident: «Kirche und soziale Verantwortung»
1988: Prof. Dr. Jan Milic Lochmann, Basel: «Die unvollendete Reformation»
1989: Pfarrer Heinrich Rusterholz, Präsident SEK, Bern: «Was treibt die reformierte Kirche?»
1990: Folkert Ihmels, Oberlandeskirchenrat Dresden: «Der Beitrag der Kirche zur Wende in der DDR»
1991: Kurt Koch (erstmals katholischer Gast, heute Bischof)
1992: Prof. Dr. Alfred Jäger, Betherl/Bielefeld: «Die Kirche stirbt – die Kirche lebt»
1993: Pfarrer Dr. Georg Vischer, Kirchenratspräsident Basel-Stadt: «Eine Kirche für die Zukunft gestalten»
1994: Pfarrerin Sabina Hösli (erstmals Frau): «Was unserer Kirche Not tut»
1995: Pfarrer Karl Graf, Kirchenratspräsident: «Wo steht unsere Evangelisch-reformierte Kirche?»
1996: Ivo Fürer, Bischof von St.Gallen: «Ökumenische Zusammenarbeit heute»
1997: Pfarrer Dr. Frank Jehle: «Das wirtschaftsethische Erbe der Reformation»
1998: Dr. Elisabeth Moltmann-Wendel, Tübingen: «Visionen von Kirche»
1999: Podium zum Thema: «Unsere Kirche im Jahr 2030?»; mit Pfarrer Karl Graf, Kirchenratspräsident; Dr. Ivo Fürer, Bischof von St.Gallen; Manuela Kaltbrunner,
kirchlicher Sozialdienst Rorschach, Annina Policante, Präsidentin der Kirchenvorsteherschaft Straubenzell; Dr. Christoph Sigrist, Pfarrer zu St.Laurenzen.
2000: Bach-Kantate BWV 80 "Ein feste Burg ist unser Gott" zum Bach-Jahr; mit Dr. theol. Helene Werthemann, Basel
2001: Pfr. Dr. Gottfried Wilhelm Locher, Beauftragter für Ökumene SEK: «Wer glaubt ist frei – Warum wieder Reformationszeit ist» 2002: Pfr. Dr. Matthias Krieg, Leiter von «Bildung und Gesellschaft» der Zürcher Kirche: «12 Thesen zum künftigen Profil der Reformierten» 2003: Erika Forster, St.Galler Ständerätin: «Die immer währende Reformation – Reform in der Gesellschaft» 2004: Prof. Dr. Albrecht Groezinger, Prof. für praktische Theologie an der Universität Basel: «Riskante Freiheiten – Reformierte Identität in der Postmoderne» 2005: Prof. em. Dr. h.c. mult. Othmar Keel, Universität Freiburg: «Vertikale Ökumene» – Familientherapie für die Religionen und Konfessionen 2006: Prof. Dr. Daria Pezzoli-Olgiati, Religionswissenschafterin: «Kirche zwischen Babylon und Jerusalem – Reformation als Apokalypse» 2007: Pfarrer Markus Anker, Seelsorger an der Universität St.Gallen: Bibelübersetzung als Herausfordrung und Provokation – die neue Zürcher Bibel im Vergleich. 2008: Dr. Niklaus Peter, Pfr. am Fraumünster in Zürich: Informiert? Deformiert? Reformiert? Bitte ankreuzen! – Zum Kreuz und zur Zukunft der reformierten Kirchen 2009: Hans-Peter Schreich, Pfarrer in Val Müstair GR: Vom Priestertum aller Singenden – Calvin und der Genfer Psalter 2010: Klara Obermüller, Zürich: «Reden von Gott und der Welt» 2011: Prof. Dr. Max Schär, Rorschach: Gallus für Protestanten 2012: Claudia Bandixen, Direktorin Mission21: «Reformiertsein – eine Spiritualität der Nüchternheit» 2013: Verena Friedrich - Gäumann, Kirchenmusikerin, Niederrohrdorf: Reformierte Reflexionen zur Kirchenmusik in der Schweiz
2014: Konzert in der Synagoge 2015: Kirchenratspräsident Martin Schmidt: «St.Galler Kirche 2022» 2016: Franz Kreissl, Leiter Pastoralamt des Bistums St.Gallen: «Auf dass sie alle eins seien» – Vom gemeinsamen Zeugnis der Kirchen in der heutigen Zeit
2017: Kantonalkirchliche Feier zur Eröffnung des Reformationsjubiläums in St.Gallen / Durch das Forum: Exkursion zu den Lebensstationen Zwinglis
2018:
Kantonalkirchliche Feier zum Abschluss des Reformationsjubiläums in Wildhaus0
2019: Andreas Schwendener: Säkularisierung als Herausforderung, zur Geschichte desr «Freien protestantischen Vereinigung St.Gallen»
2020: Frank Jehle: Mose in Wien
2021: Stefan Schreiner, Mose
2022: Karl-Josef Kuschel, Die Mose-Novelle von Thomas Mann
2023: Andreas Krafft: «Krieg und Frieden» – unsere Hoffnungen, unsere Ängste, unsere Zukunft 2023: Rudolf Gamper: Die etwas andere Sicht auf die St.Galler Reformaton
Das Gedenken der Reformation: Ein Gebet aus der Reformationsfeier 2001:
Wir wollen eingedenk sein, dass unsere Kirchen immerdar der Reformation bedürfen, einer Reformation, die nicht Glaubens-Spaltung bedeutet, sondern Glaubens-Erneuerung
Herr, lass uns hören, sehen und spüren, wohin uns deine Wege führen.
Lass uns mutig gegen alle erkannten Misstände in der Kirche auftreten.
Schenk uns Einsicht in die Freiheit des Glaubens,
in die Mündigkeit, die in Dir, Gott, gründet.
Herr, gib uns Phantasie, um deine Welt des Heils immer neu sichtbar und hörbar zu machen
damit Du in unseren Kirchen für Viele erfahrbar bleibst.
Lass uns dabei gegenseitig voneinander lernen, dass wir dich vielfältig ehren und preisen mit vielerlei Instrumenten und Lebensstilen,
dass sich jede und jeder in einer Weise Dir nähern kann: in stiller Meditation, im Hören auf Dein Wort, in der Feier der Sakramente, im Singen und Musizieren, und immer wieder durch das Beten, im Gottesdienst, daheim und mitten im Alltag.
Gott, lass uns fühlen und erkennen das Band in Dir, das alle Menschen und Religionen verbindet,
das alle Religionen und Konfessionen erste zum Leuchten bringen kann - zum Leuchten in Deinen vielfältigen Farben und Formen des Heils.