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? „Ich bin bei Euch alle Tage…“ – Der wiederkommende Menschensohn

Vortrag im Rahmen des Winterprogramms des Evang.-ref. Forums St.Gallen
vom 28. Februar 2011 im Festsaal St.Katharinen von
Dr. theol. Till Arend Mohr

?Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Mitchristen!

Das Thema „Ich bin bei euch alle Tage…“ – Der wiederkommende Menschensohn enthält eine sachliche Spannung. Denn wenn Christus nach seiner Verheissung (Mat 28,20) wirklich bei uns ist alle Tage, dann ist er ja bei uns. Und auf das Kommen dessen, der bei uns ist, müssen wir eigentlich nicht warten.
Nun kann man diese Spannung etwas abschwächen, wenn man erkennt: Christus, der Auferstandene und Erhöhte, ist zwar als Person zur Rechten Gottes im Himmel, aber seine Herrschaft, sein Reich voll Macht und Kraft ist überall. So ist er bei uns durch seinen Geist, durch seine heiligen Engel, die ihm dienen, die sein Wort erfüllen und seinen Willen ausführen (Ps 103,20f). Sie sind ja seine Hand, seine Augen und Ohren, sein Mund in dieser Welt. So ist sein Reich nicht weit entfernt über denn Sternen, sondern mitten unter uns, nur jenseits unserer Sinne. Anschaulich gesagt: Der Herr ist bei uns, wie er auch bei dem Volk Israel in der Wüste war und es ins verheissene Land führte durch den Engel des Herrn. Er wachte über seinem Volk durch seine himmlischen Heerscharen. Und wohl uns, wenn uns für diese wie dem Diener des Propheten Elisa bei Dothan die Augen dafür geöffnet werden (2. Kön 6,15-17)! So ist Christus ganz konkret bei uns alle Tage mit seinem machtvollen Schutz, uns in aller Liebe als der gute Hirte führend, tröstend, tragend, erquickend, heilend, mahnend, tadelnd, erleuchtend, inspirierend, mit immer neuer Kraft, Friede und Freude erfüllend und uns in reichem Segen mit seinen Gaben beschenkend und in allem Guten fördernd, wenn wir denn nach seinen Geboten leben. So haben es die ersten Christen getan und erfahren. So leben auch heute viele Christen mit Christus im Glauben lebendig verbunden und im festen Vertrauen darauf, dass er wirklich bei uns ist, wie er auch einmal gesagt hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mat 18,20) Die segensreiche Gegenwart Christi erleben wir besonders im Abendmahl, wo wir mit ihm eins werden dürfen, ein Leib! Ein Niklaus von der Flüe oder eine Therese von Konnersreuth haben nachweislich allein von den reichen Segenskräften des Herrn gelebt, wie sie uns insbesondere im Abendmahls zuteil werden. Das macht uns der Liebe Christi gewiss, von der uns nichts, auch der Tod nicht zu trennen vermag!
Diese wunderbare, heilvolle, segensreiche Nähe des Herrn und seines Reiches kann jeder erfahren. Es ist nur die Frage, 1. ob wir das wollen, 2. ob wir darum beten und 3. ob wir die entsprechende Gesinnung haben. Denn es ist sozusagen eine Frage der Frequenz wie bei einem Sender und einem Empfänger. Wenn wir von dem göttlichen Sender etwas empfangen wollen, müssen wir die Frequenz unseres Herzens auf ihn einstellen. Dann vernehmen wir immer deutlicher, was uns der Herr sagen will durch seine himmlischen Boten.
Engel sind reine, heilige, dienstbare Geister Gottes von höchster Gesinnung. Ihre Existenz wird nicht nur von Jesus und der Bibel bezeugt, sondern auch heute z.B. durch die millionenfachen Nahtoderlebnisse höchst eindrücklich und verifizierbar erfahren. Erlebnisse, in denen allen, die sie erfuhren, in unüberbietbarer Klarheit einleuchtend bewusst wird, dass das Licht der Welt durch die ihm dienenden Lichtwesen in grosser Liebe bei uns ist alle Tage bis ans Ende unseres Erdenweges. Und wir werden staunend inne, dass uns dieses Ende in Christus zum Anfang wahren Lebens in der Ewigkeit werden soll. Dabei erkennen wir Sinn und Ziel des Lebens und dass es vor allem andern auf die hohe Gesinnung der Liebe ankommt, wenn unser Leben sinnvoll und erfüllt sein soll.
Die Liebe also ist der entscheidende Stimmschlüssel, um uns gesinnungsmässig einzuschwingen auf die Frequenz des Himmels. Wer in der wahren Liebe ist, der ist mit dem ganzen Himmel, mit Gott, mit Christus und den Engeln eins. Denn Gott ist Liebe. Wer sein Denken, Wollen und Handeln ganz von der Liebe bestimmt sein lässt, der erfüllt das höchste Gebot, der hält in Liebe zu Christus das, was er uns gelehrt hat. Und dem verheisst Christus, dass der Vater ihn lieben wird und: „Wir werden kommen und Wohnung bei ihm machen.“ (Joh 14,23) So kommt Christus, der Mensch war, Menschensohn wie wir, auch heute zu uns.

Wie aber verhält sich nun diese erfahrbare Gegenwart Christi und seines Reiches mit der Erwartung seiner Wiederkunft zum Gericht? Es heisst ja in unserm Glaubensbekenntnis: „…sitzend zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Dann würden also die wenigen Gläubigen auf dem schmalen Weg das ewige Leben ererben, während die vielen andern auf dem breiten Weg auf ewig verdammt würden? - So erwarten nicht nur Sekten oder Freikirchen die Wiederkunft Christi, sondern auch grosse Christen wie z.B. Henry Dunant. Er machte sich über die Wiederkunft Christi und die Zukunft der Welt ganz konkrete, biblisch inspirierte, spekulative Vorstellungen.
Auf der anderen Seite gibt es grosse, vorbildliche Christen wie z.B. Albert Schweitzer, die davon überzeugt sind, dass sich Jesus in seiner Naherwartung der Wiederkunft, des Gerichtes und des Endes der Welt getäuscht habe. Und niemand wird bezweifeln, dass sowohl Henry Dunant als auch Albert Schweitzer als wahre Helfer der Menschheit grösste humanitäre Werke vollbracht haben, die ein bleibender Segen für diese Welt sind. Und wenn wir bedenken, dass wir einmal nach unsern Werken gerichtet werden und wir uns Schätze im Himmel erwerben sollen, so dürfen wir wohl annehmen, dass nun beide im Reiche Gottes sozusagen geistige Multimillionäre sind. So verschieden ihre Auffassungen von der Eschatologie Jesu waren, so wollen wir doch beide tolerant achten. Denn entscheidend ist doch vor Gott, dass wir nicht nur „Herr! Herr!“ sagen, sondern hier und jetzt tun, was uns der Herr geboten hat, insbesondere was wir seinen geringsten Geschwistern getan haben.

Nun erhebt sich natürlich mit Macht die Wahrheitsfrage: Müssen wir denn nun auf die Wiederkunft Christi warten oder nicht? Oder anders ausgedrückt: Hatte Henry Dunant recht oder Albert Schweitzer? Oder am Ende keiner von beiden? - Denn man könnte auch so fragen: Haben wir Jesus und seine Verkündigung vom Kommen des Reiches Gottes, des Menschensohnes zum Gericht und vom Ende der Welt überhaupt richtig verstanden?
An dieser Frage hängt sehr viel! Denn es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass unser Glaube nicht auf menschlichen Meinungen, Erwartungen, Projektionen oder Spekulationen gründet, sondern auf Gottes Wort und Offenbarung, d.h. auf der reinen Wahrheit. Sie allein wird uns frei machen. Eine Fata Morgana kann uns in der Wüste dieser Welt absolut in die Irre und ins Verderben führen, so wie schon viele falsche Propheten und Sektenführer die Wiederkunft Christi angekündigt haben, aber er kam nicht! Man denke nur an das Endzeitdatum 1914 der Zeugen Jehovas oder an den Stammapostel Bischof der Neuapostolischen Kirche, der 1960 in Frankfurt starb, ohne dass der vorher erwartete und angekündigte Christus erschienen wäre. - So wurden viele am Glauben irre und sogar in den Selbstmord getrieben!
Wie aber können wir denn die Wahrheit erkennen? Einmal abgesehen von allen Skeptikern wie Pilatus (Joh 18,38) oder eingefleischten Materialisten sollten wir dies als Christen eigentlich wissen. Denn unser Herr Jesus Christus hat es uns ja ganz klar gesagt: „Wenn ihr bleiben werdet in meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,31f) Unabdingbare Voraussetzung für die Erkenntnis der Wahrheit ist somit das Bleiben im Worte Christi. Das bedeutet, dass die Erkenntnis der Wahrheit nicht im Hören auf menschliche Meinungen, Lehren und Dogmen gründet, sondern im Hören auf Gottes Wort, das in Christus Mensch geworden ist und uns die Wahrheit offenbart und verkündet hat und durch den Geist der Wahrheit immer neu verkünden will, durch den uns der Herr auch zur Erkenntnis der vollen Wahrheit führen wird (Joh 16,13). In seinem Wort bleiben heisst, wirklich darauf zu hören und es zu bewahren, d.h. danach zu leben! Indem wir so unser Denken und Leben nach den Geboten Gottes ausrichten und insbesondere nach dem der umfassenden Liebe, schwingen wir uns ein auf die göttliche Frequenz und können so durch den Geist der Wahrheit Schritt für Schritt zur Erkenntnis der Wahrheit geführt werden. Es gilt insbesondere, die Gesinnung der Wahrhaftigkeit zu pflegen wie auch die Bereitschaft, unsern Verstand kritisch zu gebrauchen, selbst zu denken, nicht andere für uns denken zu lassen, uns nicht gleichschalten zu lassen, auch nicht von andern bevormunden und vorschreiben zu lassen, was wir zu glauben haben. Um zur Quelle der Wahrheit vorzudringen, muss man – um mit Hermann Hesse zu sprechen – mutig gegen den Strom schwimmen! Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Nicht zuletzt muss man um die Erkenntnis der Wahrheit in aller Demut, Hartnäckigkeit und Vertrauenskraft beten. Lehrte Jesus uns doch: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan.“ (Mat 7,7) Denn wie es in Spr 28,5 heisst: „…die aber den Herrn suchen, verstehen alles.“ Ein gewaltiges Wort, wenn man es in seiner Tiefe versteht! Aber so gering geachtet!
So wollen wir zunächst einmal die Meinung prüfen, Jesus habe sich in seiner Naherwartung des Tages des Menschensohnes zum Gericht girrt. Wer das behauptet, stellt sich in dieser Hinsicht über Jesus, den Sohn Gottes! Diese Einstellung halte ich für sehr gefährlich und falsch. Denn wenn sich Jesus wirklich in einer so wichtigen Sache wie in der unbedingten Ankündigung des Weltgerichtes geirrt hätte, dann wäre er ein falscher Prophet! Dann wäre auch seine ganze andere Verkündigung und Lehre die eines falschen Propheten und damit nicht nur fragwürdig, sondern für uns absolut irrelevant! Der Glaube an Christus wäre grundsätzlich erschüttert! Die Kirche wäre ihres Fundamentes beraubt! Und ich denke, daran kann nur einer Interesse haben: der Vater der Lüge, wie Jesus ihn nennt.
Nun aber hat Jesus selbst den höchst anstössigen Anspruch erhoben, Gottes Sohn zu sein! Schon seine Eltern mussten staunen und waren nicht wenig erschrocken, als sie ihren zwölfjährigen Jesusknaben nach drei Tagen endlich im Tempel fanden, als er in grösster Selbstverständlichkeit den Schriftgelehrten Antworten von atemberaubender Weisheit gab und seine Eltern vorwurfsvoll fragte, ob sie denn nicht wüssten, dass er sein müsse in dem, was seines Vaters ist (Lk 2,41ff)! Als Meister lehrend bezeugte er später einmal ganz ehrlich, dass er als der Sohn nicht wisse, wann das Ende dieser sichtbaren Welt komme. Das wüssten auch die Engel im Himmel nicht. Das wisse nur der Vater, also Gott allein (Mk 13,32)! Ein solches Wort, das ein Unwissen Jesu bezeugt, kann bei der gläubigen Hochschätzung Jesu als des Herrn niemals eine Gemeindebildung sein! Jesus wusste also ganz genau, wer er war und dass er im geistigen Rang noch über Abraham (Joh 8,58) und Mose stand. Er lieferte durch seine Machttaten die denkbar grössten Beweise für seinen Anspruch. Und auf das Bekenntnis des Simon hin: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“, nannte ihn Jesus Kephas, den Fels, und pries ihn selig, „denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ (Mat 16,16f) So hat Gott auch bei der Taufe Jesu öffentlich und bei dessen Verklärung auf dem Tabor vor Johannes, Petrus und Jakobus Jesus als seinen Sohn bezeugt! Der Glaube an Jesus als den Sohn Gottes beruht also nicht auf der menschlichen Meinung des Petrus oder der Urgemeinde, sondern auf der Offenbarung durch Gott! Genau wegen dieses seines hohen Anspruches wurde Jesus ja auch vom Hohen Rat als Gotteslästerer verurteilt (Mk 14,61-64)! Und er war bereit, dafür in den Tod zu gehen! Wenn aber Gott selber Jesus als seinen geliebten Sohn bezeugt und Jesus dafür die denkbar grössten Beweise brachte, haben wir nichts Gescheiteres zu tun, als die Gottessohnschaft Jesu zu bestreiten? Ich finde das gar keine gute Idee! Denn worin unterscheidet sich dann unsere Haltung von der des Versuchers in der Wüste, der Jesus mit Teufelsgewalt ausreden wollte, dass er Gottes Sohn sei? Was wäre das für eine Kirche? –
Wie wäre es also, wenn wir einmal in aller Bescheidenheit davon ausgingen, dass sich nicht Jesus, der Sohn Gottes, irrte, sondern dass wir selbst als schwache, unvollkommene, sündige, hochmütige Menschen uns nur allzu leicht und oft irren und darum einmal ernsthaft prüfen sollten, ob wir Jesus überhaupt richtig verstanden haben?! Schliesslich bezeugen die Evangelien selbst, dass sogar die Jünger Jesus oft nicht richtig verstanden haben!
Denn sie erwarteten ein irdisches Reich des Messias. Sie konnten sich das überirdische, himmlische, geistige Reich Gottes kaum vorstellen, obwohl Jesus immer wieder davon sprach und betonte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36) Er sprach von unserm und von seinem Vater im Himmel und dass er dort, im Hause des Vaters, daheim sei. Er wollte, dass auch wir dorthin gelangen, wo er hingehen werde (Joh 14,3f).

Ja, Jesus kündigte den unmittelbar bevorstehenden Tag des Menschensohnes zum Gericht an. Aber die Frage ist doch, wann und wie er als der Mensch gewordene Sohn Gottes zum Gericht kommen werde! Nun erlebten ja die Jünger die Erscheinungen des Auferstandenen. Dieses sichtbare Kommen und Erscheinen Christi nach seiner Auferstehung aus dem Reich des Todes haben sie erfahren. Und darum glaubten und hofften sie, dass Jesus als der zur Rechten Gottes Erhöhte in der Herrlichkeit Gottes mit den Heerscharen des Himmels ebenso sichtbar vom Himmel herab- und wiederkommen würde, und zwar bald. Sie würden es selbst noch erleben (1. Thess 4,15-17)!
Wenn wir nun ehrlich und wahrhaftig sind, müssen wir einräumen, dass sich die Apostel einschliesslich Paulus in dieser Hinsicht geirrt haben. Warum? Jesus hat gar nicht gesagt, dass er sichtbar vom Himmel wiederkommen werde. Im Gegenteil! Er korrigierte diese falsche Vorstellung klar und deutlich: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man wird auch nicht sagen: ‚Siehe hier! oder: dort!’ Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lk 17,20f) Das Kommen Christi zum Gericht mit den Heerscharen des Himmels wäre aber der grösste anzunehmende Fall des Kommens des Reiches Gottes! Dies also sei kein sichtbares, äusseres, sondern ein unsichtbares, also geistiges Geschehen! Darum konnten die Apostel das Kommen des Menschensohnes zum Gericht auch gar nicht erleben, wie sie es erwartet hatten.
Die Erklärung der vermeintlichen Parusieverzögerung, dass Gott eben mit uns Menschen Geduld habe, damit noch möglichst viele gerettet würden (2. Petr 3, 4.9), ist eigentlich eine fromme Ausrede dafür, dass man sich im Grunde geirrt hatte in seiner Erwartung. Denn wenn Christus eine prophetische, unbedingte Ankündigung macht, dann zeigt sich ihre Wahrheit darin, dass sie genauso eintrifft. Nur wenn die Propheten bedingte Ankündigungen machten, bestand die Möglichkeit, dass Gott ein Gericht z.B. über Israel nicht verhängte, wenn das Volk ernsthaft Busse tun, sich von den Götzen ab und ihm wieder zuwenden würde. Wenn aber eine unbedingte Ankündigung nicht eintrifft, erkennt man daran, dass sie von einem falschen Prophet stammt. Trotzdem wurden in der Kirchengeschichte und in den Sekten immer wieder genaue Termine, Vorzeichen und Orte genannt, wann und wo Jesus wiederkommen werde.
So hat angeblich Christus selber 1988 in Dozwil angekündigt, dass in wenigen Monaten und noch in Jahresfrist eine grosse, apokalyptische Bedrängnis über die Erde komme, insbesondere aus Russland. Doch die unschuldigen Kinder und Auserwählten würden mit Mutterraumschiffen abgeholt usw. Nichts von allem traf ein! Im Gegenteil! Binnen Jahresfrist fand 1989 die grosse, befreiende Wende statt, welche die ganze totalitäre Sowjetunion samt dem Archipel Gulag wie ein Kartenhaus zusammenstürzen liess!
Warum trafen solche Prophezeiungen nie ein? Weil man schlicht und einfach nicht auf Jesu klare Weisung in Lk 17,20f gehört hat! Diese notorisch falschen Prophezeiungen sollten uns ernsthaft zum Nachdenken darüber bringen, ob wir Jesus überhaupt richtig verstanden haben. Falschen Propheten im alten Israel drohte die Todesstrafe, weil sie als Baalsdiener einem Geist der Lüge dienten und die Menschen in die Irre, ins Unglück führten!

Die Naherwartung der Urgemeinde hatte einen erheblichen Einfluss auf die Überlieferung der Worte Jesu. Beispiel: Der Schächer am Kreuz sagte zu Jesus: „Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lk 23,42) Nämlich nach Jesu Tode am Kreuz! Worauf Jesus den wunderbaren Trost spendete: „Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (V.43) Später wurde das Wort des Schächers im Sinne der Naherwartung in sein Gegenteil verkehrt: „Jesus, gedenke meiner, wenn du mit deinem Reich kommst!“
Besonders wirkungsmächtig war Mk 13, in welchem Kapitel der Evangelist unter dem Gesichtspunkt der Naherwartung ganz verschiedene, prophetische Worte Jesu zusammenstellte, die dadurch nun alle im Sinne der Naherwartung verstanden wurden, obwohl jedes für sich genommen einen ganz anderen zeitlichen Horizont hatte. Jesus sprach von der kommenden Zerstörung des Tempels (V.1-6); von der Verfolgung der Jünger (V.9-13); er warnte vor falschen Christus’ (V. 22) und Propheten (V. 21f), durch die sich angeblich er selbst bekunden würde (V.6). Man solle ihnen nicht glauben (V. 21f)! Worte, die bis heute aktuell sind, aber nicht nur in Dozwil notorisch missachtet werden. Und er sprach vom Kommen des Menschensohnes zum Gericht (V. 24-27) sowie vom Vergehen dieses (sichtbaren) Himmels und der (sichtbaren) Erde (V.31f). Dazu gab Jesus auch Hinweise auf Vorzeichen und den jeweiligen Zeitpunkt, wann diese verschiedenen Ereignisse stattfinden sollten.
Als dann später die Römer Jerusalem eroberten und den Tempel zerstörten, trafen die diesbezüglichen Worte Jesu genau ein, auch hinsichtlich des Zeitpunktes: „Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird.“ (V.31) Dieser „Greuel der Verwüstung“ war eine unvorstellbare Katastrophe für das Gottesvolk, so dass auch die Christen meinten: Jetzt kommt der Herr wieder zum Gericht. Jetzt geht die Welt unter! Doch Jesus sprach nur von der Zerstörung des Tempels. Matthäus hingegen, der das Mk-Evg seinem eigenen Evangelium zugrunde legte, fügte zu der von Markus überlieferten Frage der Jünger, wann die Zerstörung des Tempels geschehen und was das Zeichen dafür sein werde, zu dem Zeichen noch die Worte hinzu: „deiner Wiederkunft und des Endes der Welt“. Der Ausdruck „Wiederkunft“ (griechisch: parousia) indes begegnet in der ganzen Überlieferung der Worte Jesu nirgends, d.h. in keinem Evangelium, ausser in der eschatologischen Rede Jesu in Mat 24, die Matthäus von Markus 13 übernommen hat, wo der Begriff eben noch nicht begegnet. An allen vier Stellen (Mat 24, 3.27.37.39) handelt es sich somit um interpretierende Zusätze des Evangelisten Matthäus! So wurden die Worte Jesu, die sich ursprünglich auf ganz verschiedene Dinge bezogen, durch die urchristliche Naherwartung schon in Mk 13 zusammengestellt und im Sinne derselben besonders von Matthäus explizit interpretiert und falsch verstanden, wie sich bald zeigte. Denn Jesus kam bei der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. nicht wieder und die Welt ging nicht unter!
Vielmehr sagte Jesus ja, dass nur der Vater wisse, wann diese Erde vergehen werde. D.h. dass das für uns Menschen unabsehbare Ende der Welt überhaupt nichts mit der Zerstörung des Tempels zu tun hat! Es hat aber auch nichts mit dem Kommen des Menschensohns zum Gericht zu tun. Denn Jesus sagte ganz klar, dass dieses Geschehen - im Gegensatz zur Zerstörung des Tempels und zum Weltende - unmittelbar bevorstehe (Mk 13, 28f)!
Dem entspricht, dass auch Johannes der Täufer bereits angekündigt hatte, dass das Gericht im Welthorizont nahe bevorstehe. Schon sei die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Jetzt werde sozusagen zugeschlagen! Jetzt sei es so weit! Der, welcher nach ihm komme, nämlich Jesus (Mk 11,27-33; Joh 1,29-34), habe die Wurfschaufel schon in seiner Hand, um seine Tenne zu fegen und die Spreu vom Weizen zu trennen (Lk 3,17).
Dass das Weltgericht unmittelbar bevorstand, hat Jesus kurz vor seinem Leidensweg ans Kreuz klar und unbedingt zum Ausdruck gebracht: “Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden. Und wenn ich erhöht werde von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen.“ (Joh 12,31f ) Von grösster Bedeutung ist dabei, dass Jesus hier den Zeitpunkt des Weltgerichtes ganz konkret nennt. Er kündigt es nicht als ein Geschehen an, das erst in 2000 Jahren stattfinden würde, sondern als unmittelbar bevorstehend: “Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt…“
Was bedeutet dieses Jetzt? Lässt sich der Zeitpunkt des Weltgerichtes noch näher eingrenzen? Die Frage ist, was Jesus mit der Aussage meint: “… wenn ich erhöht werde von der Erde…“ Johannes denkt dabei an die Kreuzigung, wenn er das Wort Jesu kommentiert: “Dies sagte er aber, um anzudeuten, welchen Todes er sterben würde.“ (V.33) Daher steht das Weltgericht mit der Kreuzigung Jesu in einem engen, eschatologischen Zusammenhang, wie es auch Karl Barth sah. Doch geht die Aussage Jesu noch über die Kreuzigung als solche hinaus mit der Fortsetzung: “…wenn ich erhöht werde von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen.“ Denn Jesus will ja nicht alle Menschen zu sich ans Kreuz ziehen. Es geht offenbar um die der Kreuzigung und Auferstehung folgende Erhöhung Jesu zu Gott, um seine Rückkehr zum Vater. Denn der Auferstandene kündigt ja der Maria Magdalena am Ostermorgen seine Auffahrt und Rückkehr zum göttlichen Vater erst noch an. Damit stellen in diesem zentralen Wort Jesu seine Kreuzigung einerseits und seine Rückkehr zu Gott an seiner Auffahrt die zeitlichen Grenzen für das von ihm angekündigte und unmittelbar bevorstehende Weltgericht dar, das offenbar er selbst durchführen werde!
Dies lässt sich auch aus der synoptischen Jesusüberlieferung bestätigen. In Lk 17,25 sagt Jesus, dass er vor dem Tag des Menschensohns, also vor dem Weltgericht, leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden müsse. Dem Weltgericht geht somit das Leiden und Sterben Jesu voraus, was sich mit Joh 12,31f deckt. Damit ist ausgeschlossen, dass das Weltgericht erst in unserer nahen oder ferneren Zukunft kommen wird, denn Christus müsste ja vorher leiden, d.h. den Weg ans Kreuz noch einmal gehen. Und das ist schlicht absurd!
Das Sterben Jesu ist nach seinem Verständnis ein Aus-dieser-Welt-zum-Vater-Gehen. An jenem Tage folge also das Gericht unmittelbar darauf. Das sei so – sagt Jesus - wie einst Noah aus der Welt in seine Arche ging, und dann kam das Gericht der Sintflut über die Welt (Lk 17,27). Ebenso brach das Gericht über Sodom herein, als Lot aus Sodom herausgegangen war (Lk 17,29f). So werde es an dem Tage sein, an dem der Sohn des Menschen sich offenbare (Lk 17,30). Das bedeutet: Wenn Jesus aus dieser Welt geht, dann bricht das Gericht über sie herein. Jesus konnte auch sagen, dass er in diese Welt gekommen sei, „um ein Gericht herbeizuführen“ (Joh 9,39), freilich nicht als Mensch (Joh 3,17), sondern im direkten Anschluss an sein Leben und Leiden.
Und wenn es richtig ist, dass Tod und Auferstehung Christi die eschatologischen Ereignisse schlechthin sind, dann lässt sich der Zeitpunkt für das von Jesus angekündigte Weltgericht noch genauer bestimmen, nämlich zwischen Kreuzigung und Auferstehung, weil doch schon der Auferstandene seine Aufgabe sieghaft vollbracht hatte und nicht erst noch bis zur endgültigen Rückkehr zu Gott vollbringen musste. Insofern war das Weltgericht aus der Perspektive des irdischen Jesus zwar noch in der unmittelbaren Zukunft zu erwarten, nicht aber aus der Sicht des heutigen Menschen, ist es doch nach dem glaubwürdigen Zeugnis Jesu längst geschehen.
Das wird auch klar, wenn wir uns bewusst machen, dass man das Weltgericht und die Erlösung eigentlich gar nicht voneinander trennen kann. Das zeigt das Gleichnis von der Scheidung der Schafe von den Ziegenböcken in Mt 25,31ff deutlich: Das Gericht des Menschensohnes, bedeutet für die ‚Schafe’ zur Rechten Erlösung und Heil, für die ‚Ziegenböcke’ zur Linken hingegen Verurteilung und Strafe.
Ebenso bedeutet die Rettung Noahs, seiner Familie und der Tiere vor der Sintflut auf der andern Seite das Gericht und Verderben für die Gottlosen (Lk 17,22-27, 1. Mose 6-9). Ebenso lehrreich ist der Blick auf den Auszug Israels aus der tödlichen Knechtschaft des Pharaos (2. Mose 5-15). Für die einen war es die Erlösung, für die anderen aber das Gericht.
Erlösung und Gericht gehören folglich zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Wir dürfen und können sie der Sache nach nicht auseinanderreissen, so wenig wie wir auch Christus, der zugleich Erlöser und höchster Richter ist, auseinanderreissen können. Auf dem berühmten Engelspfeiler im Strassburger Münster ist deshalb Christus als Weltenrichter zugleich auch als auferstandener, barmherziger Gekreuzigter mit seinen Wundmalen dargestellt, wie sie der ungläubige Thomas mit eigenen Händen betasten durfte. Da nun also Christus nach unserem Glauben die Erlösung für alle durch die Hingabe seines Lebens am Kreuz (1. Tim 2,6) und seinen Sieg über den Fürst dieser Welt und die Mächte der Finsternis schon längst vollbracht hat, ergibt sich daraus zwingend, dass er auch das Weltgericht schon längst, nämlich zwischen Kreuz und Auferstehung durchgeführt hat.
Auf diesen Zeitpunkt des Weltgerichtes oder des „Tages des Herrn“, wie es in der prophetischen Überlieferung auch genannt wird, weist überdies auch die von den Synoptikern überlieferte Sonnenfinsternis (wie auch das Erdbeben) beim Tode Jesu hin. Denn sie wird in Amos 8,9f; Jes 13,9-13; 24,21-23; Joel 2,31; 3,14f nicht als Vorzeichen, sondern als Anzeichen des Tages des Herrn zum Gericht angekündigt. Das Zeichen der Sonnenfinsternis bei der Kreuzigung Jesu, bei welcher es den Gegnern Jesu ganz mulmig zumute wurde, bedeutet somit präzis das, was Jesus vor seinem Leiden sagte: “Jetzt ist der Tag des Herrn gekommen. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt…“ (Joh 12,31)

Um zu verstehen, was Jesus über das Gericht lehrte, ist es ganz wichtig, nicht nur über den Zeitpunkt des Gerichtes Klarheit zu gewinnen, sondern auch zu bedenken und festzuhalten, dass dieses Geschehen, wie wir bereits sahen, als geistiges Geschehen verstanden werden muss. So sagte Jesus, der Menschensohn würde an seinem Tage – nach seinem Leiden (Lk 17,25)! - sein „wie der Blitz aufblitzt und von einer Gegend unter dem Himmel zur andern unter dem Himmel leuchtet“ (Lk 17,24). Das war nicht im Sinne der im damaligen Judentum und im Urchristentum verbreiteten apokalyptischen Eschatologie buchstäblich und diesseitig zu verstehen, sondern ein bildlicher Vergleich („wie“!) für ein vom Menschen nicht beobachtbares geistiges Geschehen. Dann würde sich erfüllen, dass über denen, die im Lande der Todesschatten wohnen, ein grosses Licht aufstrahlt, wie Jesaja ankündigte (Jes 9,2).
Auf die Frage der Jünger, wo denn dieses gewaltige Geschehen des Tages des Herrn stattfinden werde, antwortete er in wiederum bildlicher Sprache: „Wo die Leichen sind, da sammeln sich auch die Adler [bzw. Geier].“ (Lk 17,37) Damit bestätigte Jesus, was er schon gegenüber den Pharisäern sagte (Lk 17,20f), dass man das Kommen des Reiches Gottes nicht beobachten könne, dass man nicht sagen könne, der Menschensohn komme hier oder dort auf die Erde. Es sei ein geistiges Geschehen. Die „Leichen“ im Bilde deuten auf die Bewohner des Totenreiches, und die „Adler“ auf die Engel, die am Tag des Herrn den Menschensohn in der Macht und Herrlichkeit des Himmels begleitend in das Reich der Finsternis einbrechen würden, damit er siegend und richtend die Erlösung und Auferstehung vollbringen könne. Dann würden nicht, wie regelmässig falsch übersetzt wird, „die Kräfte in den Himmeln erschüttert werden“ (Mk 13,25b), sondern die Mächte in den jenseitigen Sphären, also die niederen Mächte und Gewalten der Hölle würden erschüttert. Sie – nicht die Menschen auf Erden! - würden dann das Kommen des Menschensohnes auf Wolken in grosser Macht und Herrlichkeit sehen (Mk 13,26)! Denn bei diesem Kommen des Menschensohnes geht es ja nicht darum, dass die Mächte des Himmels, also die heiligen Engel Gottes, erschüttert und besiegt werden, sondern die Mächte der Finsternis! Darum heisst es anschliessend in Mk 13, 27, dass der Menschensohn (nach seinem Sieg über die Hölle) die Engel aussenden werde, um die Auserwählten aus den vier Windrichtungen her zu versammeln vom Rand (griech. akros) der Erde bis zum Rand des Himmels, d.h. um sie aus den jenseitigen Bereichen zu erlösen, welche bis zur Erde bzw. bis zum untersten Rand des Himmels reichen, also aus dem „Land der Todesschatten“! Denn „wo die Leichen sind, da sammeln sich auch die Adler“!
Auf dieses geistige Geschehen weist Jesus auch in Joh 12,31b hin, wenn er den zentralen Punkt des Weltgerichtes anspricht mit den Worten: „…jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden.“ Das entscheidende Geschehen bei diesem Gericht spielt sich somit nicht auf dieser Erde ab, sondern ist offenbar ein geistiger Vorgang, nämlich das Gericht über den „Fürst dieser Welt“, wie Jesus den Satan im Joh-Evg auch nennt. Nicht als Mensch und als am Kreuz Leidender konnte Jesus ihn aus seiner Herrschaft hinauswerfen. Durch die Hingabe seines Lebens am Kreuz hat Christus zunächst nur das Recht dazu erworben. Freiwillig gab dieser Gewaltherrscher seine Gefangenen und Unterdrückten nicht frei! Darum musste Christus nach seinem Tod in der Macht und mit den Heerscharen Gottes (Mk 13,26f) niederfahren in die Hölle, um ihre Tore zu sprengen, den „Starken“, wie Jesus den Satan auch nennt (Mk 3,27), zu besiegen , zu überwinden, seine Macht definitiv einzuschränken und seine Herrschaft schliesslich ganz zunichte machen zu können.
Auf dieses zentrale, eschatologische Geschehen weist Jesus auch in Joh 16,9-11 hin, wo er verheisst, dass der Beistand, der Geist der Wahrheit, den er nach seinem Hingang zum Vater senden werde, uns auch über das Weltgericht die Augen öffnen werde, insofern das Gericht über den Fürst dieser Welt dann schon ergangen sein werde. Auch diese Stelle macht klar, dass das geistige Weltgericht schon damals, nämlich vor Pfingsten geschehen war!

Erst nach diesem Sieg und Gericht über den Fürst des Todes konnte Christus ihm den ‚Hausrat’ rauben (Mk 3,27), d.h. die der Macht des Todesfürsten Ausgelieferten und der Finsternis Verfallenen effektiv befreien (Kol 1,13). Als der „Bundesmittler für das Menschengeschlecht“ konnte er nun „Gebundene herausführen aus dem Gefängnis, und die in der Finsternis sitzen, aus dem Kerker.“ (Jes 42,6f) Er vollbrachte dadurch eine nicht mehr rückgängig zu machende, endgültige, ewige, in diesem Sinne eschatologische Erlösung aus der Knechtschaft des Fürsten dieser Welt für alle, die auf die Stimme des Sohnes Gottes hörten und künftig auf sie hören würden, wie Jesus sagte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Die Stunde kommt und ist jetzt da, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die, welche sie hören, werden leben.“ (Joh 5,25) Nach vollbrachtem Erlösungswerk taten sich die Tore des Himmels für uns alle auf. Denn Christus ist diese Tür! So ist er „in die Höhe hinaufgestiegen und hat Gefangene weggeführt…“ (Eph 4,8; vgl. Ps 68,19) Dieses zentrale Heilsgeschehen wurde in der westlichen Kirche nahezu vollständig verdrängt, während es in der Ostkirche als die Mitte des Ostergeschehens gefeiert und auf zahllosen Ikonen dargestellt wird. Felix Gietenbruch hat es nun durch seine bahnbrechende Monographie „Höllenfahrt Christi und Auferstehung der Toten“ auch für uns wieder auf den Leuchter gestellt.
? Erlösung, Weltgericht und Auferstehung der Toten als das zentrale Heilsgeschehen geschah ohne unser aller Dazutun, allein aus der alles überragenden Gnade und Liebe Gottes durch Christus zu unserm ewigen Heil! Und er hat wahrhaftig Grosses an uns getan! Denn er hat uns von Tod und Verderben erlöst (Ps 86,12f) und uns eine lebendige, herrliche Hoffnung geschenkt! Wir müssen uns fortan nicht mehr fürchten vor Tod und Teufel! Denn – wie Luther sagt: „Der Fürst dieser Welt, wie sauer er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht.“ Jesus ist Sieger! Jesus lebt! Nun ist der Tod uns der Eingang in das Leben! Darüber können wir Gott nicht genug danken und unsern Erlöser vereint mit den himmlischen Chören nur loben und preisen!

Schliesslich sagt Jesus, dass er nach seiner Erhöhung zu Gott alle zu sich ziehen werde (Joh 12,32), nämlich in die Herrlichkeit des Reiches Gottes. Daran wird deutlich, wie sich Weltgericht und universales Heil als Ziel des göttlichen Heilsplanes nicht ausschliessen, sondern in der richtigen Reihenfolge zusammengehören. Denn die Erlösung durch Christus bedeutet gerade nicht den unseligen, doppelten Ausgang der Geschichte mit der endgültigen Scheidung der wenigen Gerechten zum ewigen Leben und der vielen Ungerechten zur ewigen Verdammnis. Sobald wir diese falsche Eschatologie mit ihrem schrecklichen Gottesbild eines sadistischen Monsters, dass sich an der von ihm geplanten, ewigen Qual der meisten seiner Kinder erfreut, überwinden, durch die Erkenntnis, dass Christus Erlösung und Gericht schon längst gehalten hat, werden wir inne, dass ja nun der Himmel offen steht, dass nun der Weg frei dafür ist, dass Christus alle, für die er gestorben ist und den Sieg über die Hölle erringen hat, durch seine alles überragende Liebe zu sich ziehen kann und wird. So wird es sich erfüllen, dass einmal alle durch die „Tür“, Christus, ins Reich Gottes ein und ausgehend (Joh 10,9) durch Gericht, Läuterung und Sühne den Weg ins Vaterhaus finden werden, bis auch der letzte Feind seine Knie vor Christus beugen wird. Dann wird ein Hirt und eine Herde sein (Joh 10,16), und Gott alles in allen (1. Kor 15,28).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Jesus verstand sein, des Menschensohnes Kommen zum Weltgericht ebenso wie das individuelle Gericht nach dem Tod jedes einzelnen Menschen, als ein geistiges, jenseitiges Geschehen. Das Weltgericht sollte unmittelbar nach seinem eigenen Leiden und Sterben stattfinden. Dann werde er in der Herrlichkeit Gottes mit den Heerscharen des Himmels niederfahren in die Hölle, um die Herrschaft der Sünde, des Todes und dieses Satans endgültig zu überwinden, Gericht im Welthorizont zu halten, den Neuen Bund mit seiner neuen Gesetzgebung für alle Menschen zu schliessen und den Weg zum Leben und Heil im Reiche Gottes für alle, die auf seine Stimme hören, frei zu machen. Gericht und Erlösung sind die zwei Seiten des einen, zentralen, eschatologischen Heilsgeschehens zwischen Kreuzestod und Auferstehung, durch das die Welt im Innersten verändert und die Wende zum Heil für alle Menschen errungen wurde. Das Kommen des Menschensohnes zum Gericht hat weder etwas mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem noch mit dem unabsehbaren Ende der sichtbaren Welt zu tun, wohl aber mit dem Ende der Herrschaft des Fürsten dieser Welt.
Fortan müssen wir also nicht mehr auf die Wiederkunft Christi zum Weltgericht warten, denn dieses ist genauso, wie es Jesus ankündigte, längst geschehen. Nicht Jesus, der Sohn Gottes, hat sich geirrt, sondern wir haben seine eschatologische Verkündigung wegen der aufs Diesseits ausgerichteten, heilsmaterialistischen Brille bisher noch nicht richtig verstanden. Es geht nicht darum, dass Gott eine Welt mit doppeltem Ausgang schuf in der sadistischen Absicht, am Ende die wenigen Gläubigen zu erlösen und die vielen Ungläubigen seiner Kinder auf ewig zu verdammen und unendlich zu quälen, sondern durch Erlösung und Gericht, Läuterung und Wiedergutmachung den Weg zum Heil aller frei zu machen, damit am Ende Gottes Liebe, Weisheit und Gerechtigkeit über alle Sünde und alles Böse triumphiert. So will Christus nicht nur alle zu sich ziehen, so wird er auch nach seiner Verheissung alle zu sich ziehen! Denn er will in aller Liebe bei uns sein alle Tage, uns durch seine guten Mächte aufs schönste führen und behüten, auf grünen Auen weiden hier und dort, damit wir alle den Weg zu ewigem Frieden und Heil erkennen und gehen, bis wir einmal alle daheim sind im Hause des Vaters, in dem viele Wohnungen sind.